Alleine durchs Fjell, dritter Teil

Eine zweiwöchige Wanderung durch Rondane, Dovrefjell und Sunndalsfjell im Juli 2024

@Aus_der_UBahn
19 min readSep 1, 2024
Einfach immer weiter gehen.

Norwegen ist für mich das perfekte Wanderland — ich habe aber auch ziemlich spezielle Vorlieben, vermute ich: Zwei Wochen sind für ein tolles Wandererlebnis das Minimum. Ich will möglichst viel zelten. Heiß darf es nicht sein, ein bisschen Regen dann und wann schadet nicht. Ich strenge mich gerne an und erlebe meinen Körper im Einsatz — allzu gefährlich und extrem mag ich’s aber nicht, also wandern ja, klettern oder Gletscher nein. Und vor allem: Es soll einsam sein und kein Instagramhotspot. Ich liebe die Weite und möchte mich am liebsten in der Landschaft verlieren… In Skandinavien darf man dank des Allemannsretten (Jedermannsrecht) überall zelten, und der norwegische Wanderverein DNT hat noch im einsamsten Fjell Wanderpfade gut markiert und Hütten eingerichtet, aus deren Proviantkammer man sich bedienen darf — perfekt!

Nach meinen Touren vom Lysefjord zur Hardangervidda 2020 und der Fortsetzung bis durch Jotunheimen 2023 habe ich in diesem Jahr meiner Norwegen-Route einen weiteren Abschnitt hinzugefügt: Durch Rondane, Dovre- und Sunndalsfjell ging ich im Juli 2024 diesmal nach Nordwesten weiter, bis ich am Ende sogar das Meer in der Ferne schimmern sah. Eigentlich habe ich mir so zusammen schon den südlichen Teil von Norge på längs erwandert. ;-)

Alle Touren mit den Etappen im Detail und den GPX-Daten sind bei Outdooractive online, hier auch dieser dritte Teil.

Die Wanderroute, wie ich sie mit meiner Suunto-Uhr aufgezeichnet habe.
Die Wanderroute, wie ich sie mit meiner Suunto-Uhr aufgezeichnet habe.

Tag 1: Anreise nach Otta, Einwandern zur Rondvassbu

6.7. 2024: 2 Stunden, 7 km, 5 km/h, 1.280 m.ü.d.M., kühl, aber trocken

Das Herumknobeln an der Anreise ohne Flugzeug und Auto ist für mich schon Teil der Vorfreude. Diesmal bin ich Anfang Juli an einem Freitag Abend mit dem Nachtbus von Hamburg nach Oslo losgefahren, morgens mit dem Zug weiter nach Lillehammer und dem Bus nach Otta, dem Eingangstor nach Rondane, wo ich mittags noch einen letzten Burger aß. Es gibt noch einen lokalen Bus bis zum letzten Parkplatz “Spranget” oben im Fjell, mit dessen Hilfe konnte ich dann Samstag um 16 Uhr loswandern, schnurgerade auf der Ebene noch zwei Stunden bis zur Rondvassbu, die am Ausgang des Sees zu Füßen der Berge liegt. Die Hütte hat einen kleinen Zeltplatz, da sitzt du dann abends zufrieden auf der Isomatte und guckst auf die wolkenverhangenen Berge und schläfst sehr gut. Schon um 21 Uhr.

Mit Bus und Fähre auf der Vogelfluglinie / Der letzte Bus erspart mir einen langen Aufstieg von Otta / Die Rondvassbu am Rondvatnet … / … mit ihrem Zeltplatz.

2. Tag: Durchs Dørålen bis hinüber ins Haverdalen — Hochgebirgszelten

7.7. 2024: 7 Stunden, 20,4 km, 3 km/h, 915 m hinauf, 888 m hinunter, höchster Punkt 1.650 m, anfangs Regen

Schon um 5:30 Uhr wach, so blieb das jetzt fast die ganze Tour über. Heute ging’s auf den Rondvasshalsen und über 1.650 m, aus Respekt war ich früh und zielstrebig unterwegs, aber es regnete und der Wind war kalt. Erst als ich in der Steinwüste oben über den Sattel kam und abstieg, wärmte ich mich wieder auf und auch der Regen ließ nach. In der Øvre Dørålseter erholte ich mich bei Kaffee und Waffeln, die Sachen im Trockenraum. Am Ende des Tages wollte ich eigentlich noch über die steile Scharte des Dørålsglupen, um dahinter schon mit Blick ins Haverdalen zu zelten, doch die Hütte war so verlockend... Ich entschied mich dennoch fürs Abenteuer und zog nochmal los, oben fern der Menschheit über abweisendes Geröll, und sobald der jenseitige Talhang etwas weniger alpin ein kleines, flechtenbewachsenes Plateau bildete, stellte ich das Zelt auf. Gott sei Dank konnte ich noch ein paar Sachen in der Abendbrise trocknen, mit Blick übers unbewohnte, weite Haverdalen und ein paar Gipfel in der Ferne.

Trostloses Wetter am Morgen. Zwischen dem Rondvasshalsen und der Dørålsglupen lag allerdings noch ein gemütliches Kaffeetrinken auf einer Hütte.

3. Tag: Zur Grimsdalshytta und weiter: Zelten im weiten Fjell

8.7. 2024: 6:15 Stunden, 16,3 km, 2,6 km/h, immerhin trocken

Keine Straße führt durchs Haverdalen. Man kommt hinab, quert den Fluss über eine alte Stahlbrücke und dann geht es erst im Birkenwald, dann durchs strauchlose Fjell über einen Sattel hinüber zum Grimsdal mit der Grimsdalshytta. Ich war oben so fasziniert von der Weite, dass ich immer wieder stehenblieb und — guckte. Dann ging’s hinab zur Hütte und wieder gönnte ich mir eine Waffel und einen Kaffee, die hier war etwas moderner, aber auch sehr gemütlich. Guten Mutes ein Flusstal hinauf und wieder auf ein weites Fjell, Wolken jagten darüber hinweg. Oben nochmal der Blick zurück auf die Gipfel von Rondane. Auf einer leichten Anhöhe abseits des Wegs stellte ich das Zelt auf, es gab hier ebene Kiesflächen fast ohne jede Vegetation, gut zum Zeltaufbau geeignet, ein bisschen hart vielleicht. Alles wirkte, als wäre es vom Verlauf der Zeit völlig unberührt. Rundherum war nichts, und nichts machte ein Geräusch, es war sehr still.

Erst spät fielen noch ein paar Regentropfen aufs Zelt. Ich lief ein wenig herum, saß auf meiner Matte, pflegte meine Füße, schaute wieder hinaus, kochte was und aß. Die ganze Zeit konnte ich kaum glauben, dass ich wirklich gerade ganz echt an diesem Ort war.

2x Blick aufs Haverdalen, 2x die Grimsdalshytta, ein Flußtal hinauf. Blick zurück auf die fernen Gipfel von Rondane.

4. und 5. Tag: Zur Hjerkinn Fjellstua — und ein luxuriöser Pausentag

9.+10.7. 2024: 4:40 Stunden, 16 km, schnelle 3,4 km/h. Am Pausentag trotzdem nochmal fast 11 km.

Bei den Nächten im Zelt auf dem Fjell habe ich gemerkt, dass mein Schlafsack inzwischen doch etwas altersdünn geworden ist, ich musste immer noch zusätzlich meine Daunenjacke anziehen — schon frisch! Nach dem Morgenritual mit Kaffee und Porridge und dem ganzen Packen und Zeltabbau brach ich um 8 Uhr auf. Ich wusste schon, dass ich nicht so viel Strecke vor mir hatte und zwang mich fast zu regelmäßigen Pausen. Schließlich schleppte ich ja auch mein Fernglas mit, das wollte benutzt werden. Um 10:30 Uhr kam ich schon hinab in die Nähe der E6 und zum Kongsvegen, die hier Rondane vom Dovrefjell trennen — die Zivilisation hatte mich wieder. Bis zur traditionsreichen Hjerkinn Fjellstua zog sich’s dann doch noch, schnurgerade auf dem alten Pilgerweg von Oslo nach Trondheim. Ich hatte mir sehr luxuriös ein Zimmer reserviert für einen Pausentag und konnte so — was für ein Zufall! ;-) — bequem im Zimmer die zwei Halbfinale der Fußball-EM sehen. Tolles Buffett, gemütliches Hotel, nette Leute — auch zwei deutsche Pilger habe ich kennengelernt. (Der Olavsweg scheint landschaftlich nicht so viel herzumachen — beide waren etwas enttäuscht. Führt ja eigentlich auch immer im Tal an der Straße lang!)

Hinab aus Rondane zur E6, der Grenze zum Dovrefjell.

Am Pausentag ein längerer Spaziergang zum “Snøhetta Viewpoint”, ein Quader in der Landschaft ganz aus gerundetem Massivholz, rostigem Stahl und einer makellosen Glasfront — mit schwebendem Kamin davor. Vorne Panoramablick auf den Signaturberg des Dovrefjell, die Snøhetta, hinten Straße, Parkplatz, Wohnmobile … Ein sehr fauler Nachmittag, abgeschlossen mit einem frustrierenden Sieg der Engländer über die Niederlande. Pah!

Schönes Zimmer in der Hjerkinn Fjellstua, 2x der Snøhetta Viewpoint, dahinter die touristische Infrastruktur an der E6. War ich froh, dass ich am nächsten Tag wieder einsam durchs Fjell laufen konnte!

6. Tag: Hinein ins Dovrefjell zur Reinheim-Hütte

11.7. 2024: 24 km, knapp 7 Stunden, 3,5 km/h, 2x Moschusochsen.

Leckeres Frühstück vom Buffett, endlich ging’s weiter — ich fühlte mich sehr stark! Auf dem Gamle Kongsvegen ging ich hinauf auf die Hjerkinnshøe, wo man einen tollen Rundumblick hat. Endlich mal Sonnenschein! Hinab ins Tal und über die Straße, dann auf dem touristischen “Moschusochsen-Rundweg” wieder etwas hinauf — und tatsächlich trieben sich zwei dieser eindrucksvollen Tiere in einer Flussniederung herum. Ich habe sie entdeckt, weil ein paar Hobbyfotografen sich ins Gebüsch geduckt und herangepirscht hatten… Weiter oben war ich dann wieder alleine. Plötzlich versperrte mir eine kleine Herde Moschusochsen den Weg zu einer Brücke, die ich nehmen musste. Ich schlich mich herum und war froh, dass ich Abstand halten konnte. Schon beeindruckende Tiere.

Jetzt lag ein langer, einsamer, wunderschöner Weg vor mir. Ich fühlte mich so sehr in einer anderen Welt, dass ich zwei Wanderer, die doch plötzlich vor mir auftauchten, entgeistert mit “Hej, humans!” begrüßte. Reinheim ist eine kleine, sehr belebte Hütte, es war ein unterhaltsamer Abend, eine der wenigen Nächte im gut belegten “Lager”, das Bett hatte ich mir vorher reserviert. Die Snøhetta zeigte sich wolkenlos und verlockend, ich überlegte, ob ich am nächsten Tag einmal quer drüber wegsteigen sollte, aber mit meinem Gepäck würde mir das Klettern über die endlosen Geröllfelder bis auf 2.286 m Höhe wirklich sehr schwerfallen. Ich verzichtete dankend.

Auf der Hjerkinnshøe / Auf dem Moschusochsenweg / Und da sind wirklich welche! / Das Stroplsjødalen hinauf / Reinheim

7. Tag: Zelten bei der Möweninsel im Åmotsvatnet

12.7. 2024: 11,5 km, 3:45 Stunden, 3,1 km/h, bestes Wetter

Schlecht geschlafen, es war viel zu heiß in der Hütte. Um 7:15 Uhr schliefen immer noch alle, ich schlich mich in die Küche und nach einem fixen Frühstück war ich als Erster weg. Endlich wieder gehen! Hinter einer felsigen Scharte auf 1.550 m lag das unglaublich weite Åmotsdal vor mir, es ist so wunderschön! Schon nach gut drei Stunden kam ich zur verlassenen Åmotsdalshytta und machte Pause — viel mehr hatte ich heute gar nicht auf dem Programm. Am oberen Ende des flachen Sees baute ich das Zelt hinter einer kleinen Schwelle am Ufer auf, sichtgeschützt vorm Weg, gegenüber einer flachen Insel, die, wie ich dann bemerkte, von etwa 10 kreischenden Möwenpaaren bewohnt wurde, im Wasser noch zwei Säger mit einem Küken. Den Nachmittag hab’ ich verbummelt, fast keine Menschen gesehen, nur mit dem Fernglas sehr weit weg, unten bei der Hütte im Ruderboot. Schon wieder das Gefühl, ich sei in sowas wie dem Paradies gelandet.

Am Åmotsvatnet. Für Euch sind das vielleicht nur Bilder mit Steinen und Flechten drauf, aber ich habe jeden einzelnen Meter so intensiv erlebt …

8. Tag: Noch eine Hochebene, dann das Grøvudalen — und zelten am idyllischen Bach

13.7. 2024: 22,5 km, 7:10 Stunden, 3,1 km/h, 370 hm hinauf, 700 hm hinunter

Seit exakt 4:11 Uhr schien die Sonne aufs Zelt — es wurde ein wunderschöner Tag. Noch vor halb Acht stieg ich schon über eine Anhöhe und kam auf eine schier endlose Hochebene, die auf der Landkarte “Leirsjøtelet” heißt. Auf dem schmalen Pfad wandert man immer geradeaus bis zu den Bergen am Horizont, wo es dann rechts über einen weiteren Pass an drei einsamen, kargen Seen in der Felswüste vorbeigeht. Lange Strecken führten hier über grobe Felsblöcke, die man springend und balancierend überwindet. Ich traf ein norwegisches Paar mit Pinsel und Farbtopf, das seine Ferien dafür hergab, die Wegmarkierungen zu erneuern. Endlich weiß ich, wer für das glänzende, rote “T” verantwortlich ist. Sie erzählten, dass dieses Fjell bei schlechtem Wetter ein schrecklicher Ort sein kann, mit Nebel und White Out, und viele Menschen hätten sich hier schon verirrt und mussten gerettet werden.

Hinter dem letzten Pass stieg ich dann über ein steiles Schneefeld in ein felsiges Tal hinab, überall perlten Bäche über breite Granitflächen. Als es endlich grüner wurde, entdeckte ich überraschend auf der anderen Seite des Bachs einen einsamen Moschusochsen, der sich zum Glück von mir nicht stören ließ. Nach einer weiteren Schwelle kam ich in einen dichten Birkenwald hinunter, das Grøvudalen, wo sich im Wald eine Wiese am rauschenden Bach öffnete, ein wahres Idyll im Sonnenschein, in dem schon jemand ein kleines Zelt aufgestellt hatte. Was mich auf die Idee brachte, mich anzuschließen — mit gehörigem Abstand, natürlich. Ein wunderschöner Zeltplatz mit Gelegenheit zum erfrischenden Bad im klaren Bergbach, der hier ein paar ruhige, kleine Teiche bildete. Eine traumhafte Umgebung, so ließ sich sogar trotz der Wärme das Zelten in einer tieferen Lage im Tal genießen …

Übers Leirsjøtelet-Fjell, dann übern Pass und hinab ins unberührte Grøvudalen mit einem paradiesischen Zeltplatz.

9. Tag: Übers einsame Sunndalsfjell zur Raubergshytta

14.7. 2024: 20,5 km, 6:45 Stunden, 3,0 km/h, 920 hm Aufstieg, 570 m Abstieg, das schlechte Wetter kommt zurück

Die Nacht war doch etwas kühl, und morgens zogen Wolken auf. An der Grøvudalshytta frischte ich meine Vorräte auf, dann stieg ich die Talwand hinauf und kam wieder auf ein weites Fjell. Kein Mensch unterwegs außer mir. Es ging über mehrere Pässe, immer wilder voran durchs Felsenland, Täler queren, rauhe Hänge hinauf, über grobe Blöcke hinweg und wieder zu einem Bach hinab. Über mir kreiste ein Adler, später folgten mir zwei Bussarde, die mich einschüchtern wollten. Heute kam es drauf an, meine Kräfte richtig einzuteilen und Pause zu machen und zu essen, auch wenn inzwischen ein leichter Regen eingesetzt hatte und es zunehmend ungemütlich wurde. In so einem Gelände half es mir, über leichte In-Ear-Kopfhörer Musik zu hören, dann konnte ich in einem fast meditativen Zustand immer weiter gehen, ohne groß drüber nachzudenken. Bei dem schaurigen Wetter hatte ich längst beschlossen, auf der Raubergshytta im Trockenen zu übernachten. Der einzige weitere Mensch dort war Thomas, ein Schweizer, mit dem ich einen netten Abend verbrachte — später trafen wir uns noch mehrmals wieder.

Vom Grøvudalen hinauf aufs Sunndalsfjell und weit, weit durch die Steinwüste. Die Raubergshytta bot mir Zuflucht vor dem Wetterumschwung.

10. Tag: Durchs Torbudalen bis zum Reinsvatnet

15.7. 2024: 19 km, 6:15 Stunden, 3,1 km/h, 650 hm bergab, 1.050 hm bergauf, weitgehend trocken

Ungewohnterweise war ich heute mal der Spätaufsteher, Thomas war schon weg, hatte aber die ganze Hütte vorher aufgeräumt. Whow! Es ging dann anstrengend weiter wie am Tag zuvor, doch langsam neigte sich das Tal bergab und nach einer letzten Schwelle kam ich plötzlich steil hinunter ins Torbudalen, weitgehend unbewohnt, aber voll durch Wasserkraft, Straßen, Stromleitungen und Ferienhäuser erschlossen. An einer Stelle am Fuß der Berge strömte einfach ein ganzer Fluß aus einem künstlichen Tunnel, hier wurde gerade intensiv gebaut. Der Wanderweg zog sich nun noch lange die Flanke eines Bergs entlang, mit tollem Fernblick auf Stauseen und … ja, da waren doch tatsächlich Autos! Früher gab es hier einmal eine spektakuläre Minen-Eisenbahn, doch gerade hinter einem großen Staudamm ist die Brücke abgerissen worden und ich musste eine lange Schleife auf der Straße laufen. Dann ging es einen langgezogenen Hang voller Buckel, Teiche und Sümpfe hinauf — eigentlich wollte ich hier zelten, doch auf dem Untergrund ließ sich kein ebenes, trockenes Fleckchen fürs Zelt finden. Erst ganz oben, schon fast am Ufer des großen Reinsvatnet, entdeckte ich eine hübsche, flache Stelle mit Fernblick, geschützt vor dem Wind. Nicht ganz unwichtig das, nachdem es zunächst schön, dann aber gewittrig geworden war. Ich suchte mir abends eine Stelle zum Ausgucken mit 5G-Empfang (!) und sah lange zu, wie aus dem Tal die Wolken herauf- und vorbeigezogen kamen. Überm See baute sich ein finsteres Gewitter auf und wehte dann doch unverrichteter Dinge davon.

An diesem Tag aß ich den letzten Knust des von Zuhause mitgebrachten Vollkornbrots. Dramatische Wolken über dem Fjell, dem Torbudalen und dem Reinsvatnet.

11. Tag: Die Hoemsbu: Traumhaus am Eikesdalsvatnet

16.7. 2024: 20 km, 6:15 Stunden, 3,2 km/h, 240 hm bergauf, aber 1.122 hm bergab, niedrigster Punkt: 22 m.ü.d.M. — der Sommer ist zurück

In einer großen Schleife umrundete ich den Reinsvatnet, der in einer weiten Ebene zwischen fernen Gipfeln liegt. Am oberen Ende geht es in ein Tal hinauf, an dessen Ende man schon aus der Ferne den prägnanten Gjuratinden herübergrüßen sieht. Mit seinen zwei spitzen Gipfeln sieht er aus wie eine Batman-Maske. Das Besondere: Bevor man ihn erreicht, fällt das Hochtal von knapp 1.000 m bis auf 22 m.ü.d.M. ab, denn dazwischen liegt noch der Eikesdalsvatnet, der nur durch eine kleine Landzunge vom letzten Fjordende, also dem Meer getrennt ist. Man steigt über 900 Höhenmeter ab und muss dann am Seeufer nach Arne Vike fragen. Er ist der 90-jährige Besitzer eines Schnellbootes, das Wanderer dann über den See zur unbewirteten DNT-Hütte Hoemsbu bringt. Anders lässt sich dieses ehemalige Bauernhaus nicht erreichen, es gibt keine Straße am anderen Ufer, sondern nur einen Bergpfad, der dann wiederum von 22 m auf 1.400 m hinauf und — am Gjuratinden vorbei — über einen Pass als einzigen Landweg führt.

Zwei Stunden brauchte ich für die steilsten 900 Höhenmeter bergab, dann war ich in Vike am Ufer und versuchte, Arne aufzutreiben. Er ist über 90 und inzwischen Ehrenmitglied des DNT, und noch immer jagt er den Motor seines Bootes hoch und bringt die Wanderer übern See. Auch wenn seine Frau inzwischen als “Matrosin” die niederen Arbeiten übernimmt. Der See wirkte wie ein Fjord aus “Herr der Ringe”, und in der Ferne am Horizont, hoch über dem Ende des Sees, donnerte lautlos der Mardalsfossen hinunter und streute weiße Schleier über die Berge. Dann war ich am Anleger der Hoemsbu, die auf einer grünen Wiese etwas erhöht auf einem Schwemmkegel liegt und sonst nur von Wald umgeben ist. Ein traditionelles, großes, gelbes Bauernhaus aus Holz mit gemütlichem Wohnzimmer, großer Küche, Speisesaal und im 1. Stock zehn kleinen Schlafzimmern, zumeist mit einem Stockbett und direktem Seeblick ausgestattet. Drumherum noch ein Bootshaus, eine historische Scheune und ein paar Schafe, die neugierig um die Sitzplätze vorm Haus streifen. Es ist wie ein Traum.

Außer mir war — wieder mal — nur Thomas da. Nach einem Bad im See saßen wir gemeinsam auf der Wiese oder streiften durchs Haus und schüttelten die Köpfe, weil wir unser Glück kaum fassen konnten.

Der Mann mit dem Boot heißt Arne Vike — wie auch “sein” Dorf Vike am Ufer, ein paar Berge und das Hochtal “Vikebotnen”, durch das ich gekommen bin.

12. Tag: Pause im Paradies

17.7. 2024: Gefaulenzt

Traumhaft geschlafen. Eine kleine Spitztour mit dem bereitliegenden Ruderboot wäre beinah schiefgegangen — es lief voll Wasser, ich weiß nicht warum, aber ich war sehr schnell wieder zurück. Mit den Schafen unterhalten, Pfannkuchen gebacken, gelesen, durchs Fernglas geguckt. Die historischen Fotos im Speisesaal bewundert und Artikel übers Haus in der Heimatzeitschrift zu entziffern versucht. In der Speisekammer gab’s sogar Radler (ohne Alkohol, natürlich), Zwiebeln, Kartoffeln und frische Eier. Mental auf den Aufstieg zum Pass am nächsten Tag vorbereitet, zum Hoemskar sind’s 1.300 Höhenmeter am Stück, und danach wollte ich sogar noch weiter auf dem Romsdalsstien ins nächste Gebirge.

Dieser Weg ist erst kürzlich als eine “SignaTUR” eingerichtet worden, quasi ein Premium-Wanderweg des DNT. Die Berge oberhalb des Isfjorden sind besonders spektakulär und sehr alpin, die Hütte Vasstindbu liegt hoch oben auf einem felsigen Grat. Ich hatte jedoch nur zwei Tage für die Tour, und am zweiten Abend musste ich schon unten am Fjord rauskommen, um schnell nach Åndalsnes zu fahren und den reservierten Nachtbus nach Oslo für die Rückreise zu bekommen. Ich verspürte also einen gewissen Zeitdruck für den Rest der Tour.

Die Hoemsbu. Man sagt tatsächlich “Ho-emsbü”.

13. Tag: Zuviel vorgenommen — zur Svartvassbu

18.7. 2024: knapp 11 km, 7:20 Stunden (!), 1,5 km/h, Aufstieg 1.720 hm, Abstieg 850 hm.

Eigentlich war ich fit und gut vorbereitet. Der Anstieg zum Hoemskar auf 1.300 m bereitete mir von der Kondition her wenig Probleme, aber leider zog es im Tal zu, Nieselregen, nasse Füße und Beine vom regennassen Gras, Farn und den kleinen Birken, teilweise war’s rutschig. Fließender Schweiß unter den Regenklamotten. Oben, kurz vorm Pass, wurde es dann heikel, alles war von Wolken verhüllt, kalter Wind, steile Stellen, Schneefelder, die Markierungen nicht mehr zu sehen, ich kam nur mit Hilfe der digitalen Karte weiter. Irgendwo über mir thronte der Gipfel des Gjuratinden in den Wolken. Nach dem Pass ging’s direkt wieder 600 Höhenmeter runter. Endlich öffnete sich der Blick ins Grøvdalen nach Isfjorden und Åndalsnes, aber zugleich wurd’s auch plötzlich heiß. Und dann wieder steil hinauf über große Felsbrocken und durch nasses Gestrüpp bis auf 1.000 Höhenmeter, wieder einsetzender Regen, erneuter Nebel — achje! Jetzt wurd’s mir doch zuviel! Geplant waren noch zwei weitere Anstiege bis zur spektakulär gelegenen Vasstindbu, aber was macht das für einen Sinn, wenn man gar nichts sieht?

Nach viel Hin- und Herüberlegen entschied ich mich, hier abzubrechen und die nahebei gelegene Svartvassbu als Notunterkunft zu nutzen. Eine winzige Hütte mit sechs Betten und einem Holzofen, den ich schnell anfeuerte. Zehn Meter unterhalb lag angeblich ein See, aber der war bei diesem Wetter gar nicht zu sehen. Wenn man dann erstmal die nassen Sachen zum Trocknen aufgehängt und einen heißen Tee vor sich hat, ist es sehr gemütlich. Die Nacht über blieb ich dort allein.

Von der Hoemsbu immer hinauf, hinauf bis ins öde Gebirge und dann hinüber und hinunter und wieder hinauf… Uff!

14. Tag: Ein Ausblick noch und dann nach Åndalsnes

19.7. 2024: 10,5 km, 4:30 Stunden, 2,3 km/h, dann Taxi, Warten, Nachtbus

Noch immer bestand die Option, in einer Gewalttour den Romsdalsstien zu gehen und auf halber Strecke dann ein Tal hinab nach Isfjorden und spätabends noch den lokalen Bus nach Åndalsnes zu nehmen. Um mich entscheiden zu können, schulterte ich meinen Rucksack und ging schon mal die ersten 400 Höhenmeter der Tour hinauf, bis ich vom Gråfjell-Grat auf 1.250 m Höhe einen Panoramablick auf den weiteren Verlauf werfen konnte: Das würde hart werden. Sehr viele Höhenmeter und viel mehr Strecke, als ich mir zutrauen würde. Also lieber entspannt zurück und den Tag genießen.

Blick vom Gråfjell-Grat: Oben zurück Richtung Sunndalsfjell, unten die Romsdal-Berge im Westen.

Mit dem Fernglas bestaunte ich noch eine Weile die fast alpine Gipfelkulisse, dann trat ich auf gleicher Strecke den Rückweg an und traf im Tal — was ich gar nicht weiter überraschend fand — mal wieder auf Thomas. Der Wanderweg endete im Grøvdalen an einem Parkplatz, und als wir danach auf der Straße in der Sommerhitze dahintrotteten, verließ uns die Lust und wir riefen uns ein Taxi. Thomas ließ sich an einem Zeltplatz absetzen, ich fuhr ins Stadtzentrum von Åndalsnes.

Der Ort geriert sich als regionales Tourismus-Zentrum mit einem modernen Bergsteigermuseum mit Indoor-Kletterwand und Seilbahn direkt am Hafenkai und am Bahnhof. Von der Restaurant-Terasse genießt man den Blick über den Fjord und die umliegenden Gipfel. Hier verbummelte ich den halben Tag (inklusive Bad im Hafenbecken, wo ich sehr überrascht war, dass das Wasser salzig war…) und die halbe Nacht und gönnte mir alles, auf was ich unterwegs verzichtet hatte. Herrlich! Kurz nach Mitternacht stieg ich in den Nachtbus nach Oslo, morgens weiter im Zug nach Göteborg, ein paar Stunden Stadtbesichtigung und das Schiff nach Kiel über Nacht mit Einzelkabine. Sonntag Vormittag kam ich dann zum späten Frühstück zuhause an. Sehr entspannte Reise. Gerne wieder. Also, alles so.

Åndalsnes mit dem Bergsteiger-Museum und Kletterhalle, der Kai, auf dem ich den Tag verbummelte, und das Schiff der Stena-Line von Göteborg nach Kiel.

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