Auf der Haute Route vom Montblanc zum Matterhorn

Eine zweiwöchige Wanderung durch die Gipfel- und Gletscherwelt der Schweiz: Anfang Juli 2019 ging ich die „Walker‘s Haute Route“ – auf Panoramawegen entlang von Montblanc, Grand Combin, Dent Blanche und Weisshorn bis zum Matterhorn.

@Aus_der_UBahn
16 min readAug 8, 2019

Es war für mich eine Art Kennenlern- und Abschiedstour zugleich zu den abschmelzenden Alpengletschern in der Südschweiz. Das Erleben der großartigen Natur stand auf meiner Wanderung im Mittelpunkt. Die klassische „Haute Route“ wurde von den frühen englischen Alpinisten erfunden, die über die Gletscher von Montblanc nach Zermatt kommen wollten. Für reine Wanderer wie mich gibt es heute eine alternative Route, die ohne hochalpine Schwierigkeiten (wie etwa anspruchsvolle Gletscherquerungen oder Kletterstrecken) weiter unten entlang führt – die „Walker‘s Haute Route“, die bei Engländern, Amerikanern und Australiern sehr beliebt ist. Zum Glück gibt es den deutschsprachigen Wanderführer aus dem Rother-Verlag, der einige Varianten nutzt und über abgelegene Höhenwege und etwas anspruchsvollere Pässe führt, so dass weite Strecken der Tour wider Erwarten einsam und zugleich landschaftlich unglaublich schön sind. Auch wenn immer wieder einmal einzelne Hänge von Skigebieten zerstört sind (*Krückstockgefuchtel*). Stets im Blick sind jedenfalls die berühmten 4.000er des Wallis mit ihren — noch — riesigen Gletschern. Unterwegs habe ich unter dem Hashtag #AufderWHR täglich einen kleinen Bericht mit Bildern auf Instagram gepostet.

Der Charakter der Route

Die Haute Route ist mit Hütten und Berghotels gut erschlossen. Ich hatte dennoch Zelt, Schlafsack und Kocher dabei, um mir die Etappen flexibler einteilen und der Natur näher sein zu können. Ich habe 14 Tage gebraucht, wobei ich einen Pausentag eingelegt habe, als es vor der Überquerung des Schöllijochs nachts geschneit hatte. Bei einer Kletterpartie auf 3.300 m wollte ich lieber abwarten, bis zumindest der Aufstieg wieder freigetaut war. Also 13 Tagesetappen. Drei kürzere Stücke im Tal habe ich mithilfe der hervorragenden Schweizer Postbusse und im Mattertal spontan mit dem Zug übersprungen.

Das Niveau: Man braucht Ausdauer und alpine Erfahrung, aber keine technischen Hilfsmittel außer guten Wanderstiefeln und Wanderstöcken. Die Kondition kommt übrigens von allein, so dass man sechs bis acht Stunden am Tag gut gehen kann – trotz der häufig starken Steigungen, wenn man ins nächste Tal hinübermuss. In den höheren Lagen kann man durchaus noch auf große Restschneefelder stoßen. Im Jahr 2019 lag im späten Frühjahr extrem viel Schnee, der allerdings im Juni bei einer außergewöhnlichen Hitzewelle auch sehr plötzlich abgetaut ist — sonst hätte ich auf einigen Abschnitten noch Anfang Juli Probleme bekommen.

Über weite Strecken geht es auf grandiosen Höhenwegen entlang der großen Gletscher und schneebedeckten Gipfel — wie gut, dass ich mein Fernglas dabeihatte! Wenn man die ausgeschliffenen, öden Trogtäler vor der Gletscherzunge sieht, begreift man, dass die gewaltigen Eismassen, denen man so nahe kommt, nur noch die kümmerlichen Reste der einstigen Pracht sind. Wie muss es hier vor den Zeiten des Klimawandels ausgesehen haben! Ein bisschen Wehmut hat mich auf dieser Tour stets begleitet. Vielleicht haben mich deshalb auch die Skigebiete so gestört, durch die man gelegentlich kommt. Hier sind im Sommer die Wunden des winterlichen Massentourismus zu sehen: Liftanlagen, Beschneiungsmasten, Partyhütten, Baustellen, planierte Trassen — da wächst fast nichts mehr. Zum Glück führt der Weg schnell weiter durch blühende Bergwiesen, die bisher verschont geblieben sind.

Im ersten Teil stößt die Haute Route auf die “Tour de Mont Blanc”, hier geht es international zu. Auf dem Zeltplatz von Champex-Lac zum Beispiel hört man fast nur Englisch. Danach weicht die Rother-Streckenführung häufig von der klassischen Route ab, so dass man kaum noch Menschen auf den Wegen trifft. Wo einmal eine längere Talstrecke gegangen werden muss, kann man bequem auf den Postbus umsteigen. Mit der Postbus-App sind die Planung und Bezahlung kein Problem. Verpflegung gibt’s auf den passierten Hütten, und alle drei oder vier Tage kann man auch einmal im Laden fürs Kochen einkaufen. Auch wenn es kein spezielles Wanderzeichen für die Haute Route gibt, sind die Wege doch immer eindeutig und klar markiert. Ich würde niemals ohne Papierkarte gehen, auch wenn ich zur Unterstützung eine digitale Karte dabeihabe. Übrigens ist das komplette topographische Kartenwerk der Schweiz online frei verfügbar — vielleicht wollt Ihr dort ja die Etappen meines Berichts nachschlagen.

Schwierige Passagen — und eine Rutschpartie

Es gab einige schwierige Stellen, wo ich sehr vorsichtig war (bzw. hätte sein sollen …). Beim etwas berüchtigten Pas de Chèvres war für mich nicht die Leiter-Passage der Knackpunkt, sondern das brüchige und steile Geröllfeld davor. Hier muss man aufpassen, dass man keinen Steinschlag vom Vordermann abbekommt.

Das Schöllijoch fand ich noch anspruchsvoller. Den Aufstieg von der Turtmannhütte auf 3.300m im frischen Neuschnee habe ich gut hinbekommen, da ich mich einer geführten Gruppe anschließen konnte, die vor mir neu gespurt hat. Bei frischem Schnee hilft übrigens eine digitale Karten-App, auf der man überprüfen kann, ob man sich noch auf dem vorgesehenen Weg befindet.

Oben musste ich allerdings ALLEINE etwa 50 Höhenmeter über die scheinbar völlig verschneite senkrechte Kletterpassage hinab. Mit viel Mut, Konzentration und Ruhe bin ich eingestiegen und habe dann festgestellt, dass der Weg hinab schneefrei und mit Leitern, Stufen und Halteseilen gut gesichert war. In solchen Situationen sollte man sich viel Zeit lassen. Ich denke dann immer an die “3-Punkte-Regel”, die besagt, dass du immer mit drei Punkten ganz sicheren Kontakt haben sollst. Also erst den einen Fuß ganz fest abstellen, bevor du dann mit der Hand nach unten greifst, bevor dann der nächste Fuß … und so weiter. Das kann man auch auf Schneefeldern mit seinen Stöcken praktizieren.

Einmal bin ich dann aber doch zu leichtsinning gewesen, weil ich mich zu sehr auf die Technik und zuwenig auf meine Intuition verlassen habe. Die Altschneefelder, auf die man im Hochgebirge immer wieder stößt, sind ja im Allgemeinen harmlos und einfach zu gehen — wenn sie nicht zu steil sind und im Geröll enden. Vor so einem Feld stand ich kurz hinter dem Mont Rogneux: Sehr abschüssig und noch nicht begangen. Da ich neue Grödel bzw. Spikes zum Überziehen über die Stiefel dabei hatte, war ich der Meinung, damit den Schnee gefahrlos überqueren zu können. Fehlanzeige. Die Dinger sind was für Glatteis, aber nicht für weichen Schnee, da die Stahlhaken zu kurz sind. Sie haben sich mit Schnee zugesetzt und ich kam ins Rutschen. Instinktiv habe ich mich auf den Bauch und auf alle Viere gedreht, um nicht mit dem Steiß voran in die Felsen zu rutschen. Nach 20, 30 Metern abwärts kam der Aufschlag im Geröll, was mir ein blutiges Knie, aber zum Glück keine ernste Verletzung eingebracht hat; zum sehr großen Glück. Ab da habe ich die Spikes wieder weggepackt und mich wirklich auf mein Gefühl verlassen: Schaff ich das? Fühle ich mich sicher? Im Zweifel habe ich dann lieber längere Umwege in Kauf genommen und bessere Wege gesucht.

Das fragliche Schneefeld am Mont Rogneux (links) und seine Folgen.

So wie auf dem wenig begangenen Weisshorn-Höhenweg von der Topalihütte nach Randa auf der Westseite des Mattertals. Entgegen der Beschreibung im Wanderführer waren hier zwei steile, reißende Bergbäche, über die eben keine Brücke führte. Möglicherweise waren die Brücken über den Winter weggespült und Mitte Juli noch nicht wieder für die Saison eingerichtet worden. Wie ich jetzt im Nachhinein sehe, scheint der Weg deshalb auch geschlossen zu sein. Das würde erklären, warum ich dort niemanden gesehen habe. ;-) Die Bachschluchten waren hier noch von extrem steilen Schneefeldern überdeckt, einige Halteseile hingen gerissen herab. Hier hätte man vielleicht hinübergekonnt, wenn man im Team angeseilt gewesen wäre und Steigeisen und Eispickel gehabt hätte. So musste ich in der Schlucht weit hinaufklettern, bis ich eine freie und etwas flachere Stelle fand, wo ich auf Felsblöcken über den Bach klettern konnte. Grenzwertig, aber für mich in der Situation noch vertretbar.

Wild Zelten — ja oder nein?

Anders als oft angenommen ist das Zelten oberhalb der Baumgrenze in der Schweiz grundsätzlich erlaubt, kann aber regional verboten sein. Wenn man diese Gebiete kennt, kann man gut planen. Sie werden auf einer übersichtlichen offiziellen Online-Karte farblich ausgewiesen. Insgesamt habe ich fünfmal wild, dreimal auf dem Zeltplatz und fünfmal in Hütten (und einem Hotel) übernachtet.

Abendlicher Blick über das Tal der Dyure de Sery.

Während der Wanderung wurde ich auf Instagram gebeten, das wilde Zelten nicht zu zeigen, um keine Nachahmer zu inspirieren. Nach einiger Überlegung sehe ich das aber anders: Ich möchte den Menschen gerne das reine Naturerlebnis auch abseits der touristischen Infrastruktur nahebringen. Auch wenn dafür am Ende möglicherweise mehr Menschen mit dem Zelt in die Berge gehen. Eine Massenbewegung werde ich sicherlich nicht auslösen.

An den Lacs des Chéserys mit Blick auf den Montblanc standen abends sechs Zelte — die aber morgens alle ohne sichtbare Spuren wieder verschwunden waren. Das ist mir lieber, als zu einem Luxus- oder Ski-Urlaub in den Bergen zu verleiten, auf dass neue Hotels gebaut oder neue Pisten eingerichtet werden. Voraussetzung ist natürlich, dass wir auch beim Zelten in der Natur die Gesetze einhalten und keine Schäden anrichten oder bleibenden Spuren hinterlassen. Ich achte immer darauf, das Zelt an wenig einsehbaren Stellen aufzubauen. Oder erst spät damit zu beginnen, wenn niemand mehr vorbeikommt. Da, wo das Zelten verboten ist, gibt es fast immer gute Gründe, die wir respektieren sollten.

Die Etappen

Die folgende Einteilung gibt meine Tour wieder und weicht vom Rother-Führer vor allem bei den Übernachtungsstopps ab. Die Angaben habe ich mit einer Sportuhr getrackt. Die Länge der Gehzeiten ist etwas ungenau, da ich bei kürzeren Pausen die Uhr manchmal angehalten habe und manchmal nicht.

Tag 1 (5.7.2019): Von Chamonix bis zu den Lacs des Chéserys
(4:45 h, 10 km, 1.033 hm rauf, 826 hm runter)
Der erste Tag startete mittags nach der Anreise mit dem Nachtzug ab Hamburg entspannt. Ich habe mir in Chamonix sogar die Seilbahnfahrt hoch nach Planpraz gegönnt und ging dann mit ein wenig auf und ab den Panoramaweg mit Blick auf den Montblanc und die Aiguilles. Nach 10 km schlug ich das Zelt an einer Gruppe kleiner Seen auf.

(Achtung, Instagram-Embedding funktioniert nicht mehr: Hier meine Tagesbilder von #aufderWHR → )

https://www.instagram.com/p/BzjA3YNIjYX/

Tag 2: Über den Col de Balme in die Nähe des Réfuge des Grands
(7:10 h, 16,9 km, 1.391 hm rauf, 1.519 hm runter)
Vom “Südbalkon des Montblanc” hinab zur Passstraße am Col des Montets und auf einem schönen Gratweg wieder hinauf zur Hütte am Col de Balme. Von da ging ich nicht wie die meisten hinab nach Trient, sondern auf einem höhengleichen Weg rechts ab, schon Richtung Fenêtre d’Arpette. Da das private Réfuge des Grands belegt war, suchte ich mir in der Nähe einen wunderschönen wilden Zeltplatz mit Blick auf den Glacier du Trient.

https://www.instagram.com/p/BzlRnYoo90P/

Tag 3: Über das Fenêtre d’Arpette zum Zeltplatz am See von Champex
(6:25 h, 14,4 km, 1.332 hm rauf, 1.943 hm runter)
Einen kleinen Schauer konnte ich morgens im „Chalet du Glacier“ mit einem zweiten Frühstück überbrücken (löslicher Kaffee und Schokolade…), dann ging ich bei tollen Gletscherblicken hinauf zum 2.665 m hohen Pass ins Tal von Arpette. Dort unten in Champex-Lac gibt es einen international besetzten Zeltplatz und einen mit Tretbooten bedeckten kleinen See — die Zivilisation hat mich wieder.

https://www.instagram.com/p/Bzn_0hNoU1K/

Tag 4: Von Liddes über den Mont Rogneux
(6:45 h, 12,3 km, 1.853 hm rauf, 789 hm runter)
Noch eine Etappe, die nicht der englischen Route folgt: Zunächst geht es via Orsières mit dem Bus nach Liddes. Von dort ging ich hinauf zur einsamen, aber wunderschönen Hütte am Col de Mille und dann die alpine Variante über den 3.083 m hohen Mont Rogneux mit 360°-Rundumblick u.a. ins Montblanc-Massiv, zum Grand Combin und erstmals auf das ferne Matterhorn. Dahinter bin ich auf dem Schneefeld ausgerutscht — mein GPS-Tracking zeigt hier mein Höchsttempo mit fast 20 km/h an. ;-) Nach dem Verarzten hatte ich keine Lust mehr auf weite Strecken und habe auf einem einsamen Wiesenbuckel hoch über dem Tal der Dyure de Sery gezeltet.

https://www.instagram.com/p/Bzqn0pCokGm/

Tag 5: Über Fionnay zur Cabane de Louvie
(6:45 h, 16,7 km, 1.547 hm rauf, 1.710 hm runter)
Der Weg zieht sich hier in der Höhe zunächst zum Vorfeld des Corbassiere-Gletschers hinüber, das man auf einer spektakulären Hängebrücke überquert, bevor es hinab ins Dorf Fionnay geht. Dort gibt es ein nettes Cafe, ich konnte nicht wiederstehen — der Hamburger lag mir beim Aufstieg zur schönen Louvie-Hütte in der Mittagshitze schwer im Magen.

https://www.instagram.com/p/Bzvf6Izomvd/

Tag 6: Über zwei Pässe und durch die “Grand Desert” zum Lac de Dix
(6:45 h, 14,9 km, 1.419 hm rauf, 1.270 hm runter)
Hinter dem Col de Louvie liegt eine weite Wüstenei von Schnee und Fels – eine außergewöhnliche Landschaft, in der man jeden Schritt genießt. Am Ende geht’s über den Col de Prafleuri zur gleichnamigen Hütte — die allerdings wegen Bettwanzen geschlossen war. Ich musste also noch eine Stunde anhängen und zum bizarren achtstöckigen “Hotel Ritz” an der gigantischen Staumauer des Lac de Dix weiterwandern. Auch ein Erlebnis. In diesen Tagen ging ich immer wieder unterschiedlich lange mit anderen Wanderern zusammen, etwa mit einer lustigen Familie aus Virginia oder einem russischen Kernforscher aus Genf.

https://www.instagram.com/p/BzvlE2uIkY3/

Tag 7: Über die Cabane de Dix und den Pas de Chèvres nach Arolla
(7:30 h, 24,3 km, 1.855 hm rauf, 2.077 hm runter)
Nach einer Nacht im richtigen Hotelzimmer (mit eigenem Bad!) ging’s zunächst die ebene 8km-Rennstrecke am Stausee entlang, in dem das Wasser der ganzen Region gesammelt wird. Dann hinauf auf die mit 2.928 m höchste Hütte der Route, die Cabane des Dix. Die Querung des Glacier de Cheilon unterhalb des markanten Mont Blanc de Cheilon war ein einfaches Abenteuer, der Aufstieg durchs Geröllfeld hinauf zum Pas de Chèvres erforderte hingegen Trittsicherheit. Dann noch ein schönes langes Tal hinunter ins Bergdorf Arolla mit Campingplatz. Ein langer Tag!

https://www.instagram.com/p/BzyQMxBI6Nf/

Tag 8: Über den Col de Torrent zum Lac des Autannes
(4:30 h, 12,5 km, 1.250 hm rauf, 400 hm runter)
Morgens war ich müde und bin einen Teil der Strecke über Les Haudères bis nach La Sage/Villa mit dem Bus gefahren. Nach dem Anstieg zum Col de Torrent (2.916 m) mit weitem Blick zurück ins Tal habe ich schon bald mein Zelt aufgebaut. Der Lac des Autannes auf knapp 2.700m ist zwar wunderschön und sehr einsam gelegen, aber nachts bei Regen und Wind ist es da durchaus frisch —mein Schlafsack kam bei fast 0° an seine Grenzen.

https://www.instagram.com/p/Bz0zt8-oILc/

Tag 9: Am Lac de Moiry vorbei über den Col de Sorebois zur Almwiese La Lé und hinab nach Zinal
(6:15 h, 20,5 km, 1.174 hm rauf, 2.172 hm runter)
Trotz wenig Schlaf konnte ich heute auf (meist) herrlichen Höhenwegen richtig Tempo machen. Es ging früh hinab zum Stausee von Moiry, wo ich Gelegenheit zu einem 2. Frühstück hatte. Dann kam ich über den Col de Sorebois (2.835 m) in ein leider recht verschandeltes Skigebiet. Zum Glück entschied ich mich für den Höhenweg ins Tal hinauf zur Almwiese La Lé. Da ich erfahren hatte, dass hier erst vor zwei Tagen ein Wolf zwei Schafe gerissen hatte, wollte ich hier lieber nicht wild zelten und stieg noch hinab und das Tal zurück nach Zinal, wo es einen putzigen Zeltplatz mit Streichelzoo und Restaurant gibt. Ja, ich weiß, Wölfe greifen keine Menschen an. Trotzdem hatte die Vorstellung, da nachts allein im Zelt zu liegen, etwas Unheimliches. ;-)

Die Schleife durch das Val de Zinal ist übrigens eine typische Abweichung von der klassischen Haute Route, die der Rother-Führer vorschlägt. Man könnte auch direkt hinab, doch der Höhenweg ist wunderschön zu gehen und bietet fantastische Ausblicke auf das Weisshorn-Massiv mit seinen 4.000ern. Ein Umweg von rund 4 Stunden, der sich wirklich lohnt.

https://www.instagram.com/p/Bz3VvOHI6hh/

Tag 10: Über den Forcletta-Pass zur Turtmann-Hütte
(6:50 h, 19,7km, 2.067 hm rauf, 1.233 hm runter)
Wenn man von Zinal den Talhang über schöne Wiesen nach Norden zur Forcletta hinaufsteigt, kommt hinter dem Talende im Süden das große Gipfelpanorama in den Blick. Neben Dent Blanche, Ober Gabelhorn und Zinalrothorn erspäht man sogar das Matterhorn von seiner unbekannten Breitseite. Der Pass ist die Sprachgrenze zwischen französischer und deutschsprachiger Schweiz. Von dort führt wieder ein Höhenweg die Flanke des Turtmanntals hinauf bis zur Hütte — mit Bilderbuch-Ausblicken auf Tal, Stauseen, Gletscher und Gipfel. Romantische Schweiz en miniature.

https://www.instagram.com/p/Bz7mDk7Imow/

(Pausentag auf der Turtmann-Hütte)
Als ich morgens in der Hütte ans Fenster kroch, war draußen alles weiß — Neuschnee! Und das, wo die nächste Etappe über die wohl alpinste Strecke führen sollte, übers 3.343 m hohe Schöllijoch mit einer gesicherten Kletterpassage, quasi im Schatten von Bishorn und Weisshorn! Zum Glück hatte ich einen Reservetag eingeplant und die rustikale Turtmannhütte war ein sehr netter Ort zum Verweilen. Also habe ich einen Tag gefaulenzt, mich mit anderen Wanderern unterhalten, etwas die Gegend zu Fuß und den Brunegg- und den Turtmanngletscher mit dem Fernglas erkundet. Sehr erholsam!

https://www.instagram.com/p/Bz7f2LEoMz_/

Tag 11: Über das Schöllijoch zum Weisshorn-Höhenweg überm Mattertal
(7:50 h, 12,8 km, 1.480 hm rauf, 1.760 hm runter)

– Achtung, der hier beschriebene Weg über den Topali-Weisshorn-Höhenweg ist aktuell gesperrt! –
Nach einem Frühstück um 5 Uhr schloss ich mich einer geführten Gruppe an, die den Weg hinauf zum Schöllijoch im oberen Teil frisch und sehr professionell gespurt hat. Bei gutem Wetter kann man hier noch den höchsten “Wandergipfel” der Schweiz mitnehmen, das Barrhorn mit 3.610 m, doch angesichts der Schneelage und der wartenden Herausforderungen verzichtete ich: Vor mir verschwand ein Halteseil an der Felskante im unberührten Schnee, dahinter — der Abgrund! Und die Bergführer machten sich davon Richtung Brunegghorn. Der erst kürzlich errichtete kurze Klettersteig, der den Pass für Wanderer gangbar macht, erwies sich dann aber als schneefrei und führte mich sicher auf den kleinen Schölligletscher hinunter. Auf der fantastisch über dem Mattertal thronenden Topalihütte habe ich mich mit “Ovomaltine-Kuchen” belohnt, bevor ich dann den Weisshorn-Höhenweg Richtung Randa einschlug. Gegenüber ragt die Mischabelgruppe mit dem 4.454 m hohen Dom empor und im Süden taucht der MonteRosa auf. Nordwärts reicht der Blick bis zum 40 km entfernten Aletschgletscher.

Nach zwei etwas heiklen Bergbach-Überquerungen kam ich zum letzten wilden Zeltplatz der Tour, den ich mir schon lange vorher auf der Karte ausgesucht hatte: 1.000 m über dem Dorf Herbriggen im Talgrund, oberhalb der “Seematten”. Drei Stunden Fußmarsch in jede Richtung vom nächsten bewohnten Fleck entfernt.

https://www.instagram.com/p/Bz-5Li7IDLI/

Tag 12: Hinab nach Randa und hinauf zur Europaweghütte im Täschtal
(5:00 h, 12,9 km, 1.410 hm rauf, 1.490 hm runter)
Geweckt von einer Ziegenherde brach ich früh nach Randa auf. Der Höhenweg führt oberhalb des Gufer Bergsturzes von 1991 entlang und dann ins Tal. Auch gegenüber ist der mit viel Aufwand eingerichtete “Europaweg” teilweise zerstört. Da es in Randa wider Erwarten keinen Geldautomaten gab, fuhr ich kurzerhand mit dem Zug eine Station nach Täsch und stieg nach einem kurzen Zivilisationsschock von dort hinauf zum Europaweg, ins Täschtal, zur sehr familiären Europaweghütte. Nette schweizerische Abendgesellschaft aus 5 Personen.

https://www.instagram.com/p/B0BcYA2I69Z/

Tag 13 (18.7.2019): Über die Pfulwe von Osten nach Zermatt
(5:15 h, 14,6 km, 1.178 hm rauf, 1.073 hm runter)
Die letzte Etappe war so geplant, dass ich um 16:13 direkt in Zermatt in den Zug nach Hamburg steigen konnte — auf einen touristischen Aufenthalt in der trubeligen Stadt hatte ich überhaupt keine Lust. Von der Hütte ging es das nahezu perfekte Trogtal der Täsch hinauf und mit der Pfulwe auf 3.150 m noch einmal über einen schneebedeckten Pass mit überwältigendem Panorama — vom Monte Rosa über das Breithorn und das halb in den Wolken verborgene Matterhorn bis noch einmal hinüber zur Dent Blanche und zum Weisshorn. Was für ein Glück, hier in aller Stille eine Stunde sitzen und schauen zu können! Der Weg hinab führte dann zurück zu Hütten und Bergstationen. Am Ende fuhr ich im Tunnel mit der Sunnegga-Bahn direkt ins Stadtzentrum von Zermatt hinein.

https://www.instagram.com/p/B0EInPpo9yt/

Kleiner Zahlenteil

Insgesamt habe ich 200 km Strecke zurückgelegt — etwas über 15,5 km am Tag. Das klingt moderat, und auch die Wanderzeit mit rund 6:15 h pro Tag ist entspannt. Doch Auf- und Abstiege sind ganz ordentlich: Ich bin knapp 19.000 hm hinauf und etwa 18.250 hm abgestiegen — pro Tag also über 1.400 hm rauf und wieder runter. Zusammengezählt etwa 37.200 hm in 13 Tagen.

Wer möchte, kann das gerne mit meiner dreieinhalbwöchigen Fernwanderung auf der südlichen GTA im Jahr 2018 vergleichen. ;-)

Mein Rucksack wog übrigens mit Zelt, Schlafsack, Kocher und (reichlich) Essen 14 bis 15 kg (Packliste). Das ist für mich leicht genug, dass mir das Tragen noch nicht die Laune verdirbt. Und auf etwas Luxus möchte ich auch nicht verzichten, etwa auf mein fast 700 g schweres Fernglas. Vor einem Jahr hatte ich in leichte Ausrüstung investiert und dieses Mal bin ich noch von meinem ganz großen Rucksack, der 2,5 kg wog, auf einen 750 g leichteren Deuter mit 50+10 Litern umgestiegen. Da die Haute Route gut mit Hütten versorgt ist, kann man beim Essen auch noch sparen. Oder halt gleich ganz auf Hüttenübernachtungen setzen. Aber das will doch keiner!

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