Unterwegs.

Fernwanderung: Drei Wochen durch Ryfylkeheiane und Hardangervidda

@Aus_der_UBahn
9 min readAug 27, 2020

#lyse2sognefjord — Bericht von meiner Tour vom Lysefjord zum Sognefjord im August 2020

So lange habe ich diese Tour geplant! Ich habe sie sogar schon in Gedanken durchwandert, als noch gar nicht absehbar war, ob ich die Reise trotz Corona überhaupt machen konnte. Doch ich hatte Glück, Mitte Juli öffnete Norwegen die Grenzen, und zwei Wochen später konnte ich los.

Meine Beschreibung der Tour mit GPS-Daten auf Outdooractive

Der Charakter der Tour

Diese lange, einsame Fernwanderung (siehe meine Detaildarstellung der Tour mit GPS-Daten bei Outdooractive und inzwischen auch ein längeres Video bei Youtube) führte mich in 17 Wandertagen mit jeweils 5–7 Stunden Wanderzeit von Süd nach Nord durch das zentrale Gebirge im südlichen Norwegen. Ich habe meistens im Zelt geschlafen, es ginge aber auch mit Übernachtung in den unbewirtschafteten Hütten des DNT, auf die man etwa im Tagesabstand stößt. Diese Hütten waren oft menschenleer, sind aber immer mit einem Proviantraum ausgestattet, wo man sich die nötige Verpflegung einkaufen kann. Die grandiose Landschaft wechselt zwischen anspruchsvollen, fast alpinen Abschnitten mit vielen Schneefeldern, felsigen Hochebenen mit Seen und Flüssen und wenigen etwas sumpfigen Passagen in niederen Lagen. Mein Garmin-Satelliten-Kommunikationssystem hat in etwa 100 Stunden Wanderzeit 420km Strecke getrackt. Das Gerät hatte ich vor allem dabei, damit ich als Alleinwanderer in einem Notfall auch im Funkloch hätte Hilfe anfordern können. Und im Funkloch ist man dort, sobald man sich ein oder zwei Wanderstunden von bewohnten Orten entfernt; am Anfang war ich 8 Tage am Stück ohne Netz! Erstaunlich finde ich immer noch, dass es in Europa möglich ist, 3 Wochen zu wandern und dabei nur in einen einzigen kleinen Ort und nur zweimal über eine Straße zu kommen!

Die Tour hat grob drei Abschnitte:

  1. In neun Tagen durch Ryfylkeheiane bis Haukeliseter, wo man in der bewirtschafteten Hütte gut einen Pausentag einlegen kann. Einsame, immer felsige, teilweise alpine Landschaft, die schier kein Ende nimmt.
  2. In fünf Tagen durch die Hardangervidda bis zum “Liseth Pensjonat”, wo der Vøringsfossen ebenfalls zu einem Pausentag einlädt. Höhepunkt: Besteigung des prägnanten Hårteigen mit fast 1.700m Höhe.
  3. In drei nicht mehr allzu langen Wandertagen durch eine besonders einsame Gegend bis nach Hallingskeid, wo man mit der Bahn nach Bergen oder Oslo abreisen kann. Oberhalb des Simadals eröffnen sich auf dieser Etappe fantastische Tiefblicke in den Fjord, auf der anderen Seite das Panorama des Hardangergletschers.

Durch den Start am Ende des Lysefjords und das Ende in der Nähe des Aurlands-/Sognefjords ist eine An- und Abreise ohne Auto, vorwiegend mit Fähren, teils auch mit Zug/Bus sehr gut möglich und bietet einen besonderen Reiz.

Gehen. Einfach immer weiter.

Vom Lysefjord geht es direkt in einem abgelegenen Seitental auf 1.000m Höhe hinauf, zunächst durch feuchten Birkenwald, später durch eine typisch karge Fjelllandschaft mit viel offenem Fels. Ich habe meistens gezeltet, da ich dann frei in der Länge der täglichen Wanderzeit war. Und ich konnte mir besonders idyllische Orte für die Übernachtung aussuchen — bei mir heißt das dann: immer mit Blick in die Ferne und mit einem See oder Bach in der Nähe. Das waren die Stellen, an denen mir die Schönheit der Landschaft fast den Atem nahm.

Abschnitt 1: In 9 Tagen durch Ryfylkeheiane

Am Anfang, bevor man den großen Blasjø erreicht, und im Mittelteil dieses ersten Abschnitts, kurz nach der Krossvatn-Hütte, ging es bei mittelmäßigem Wetter durch fast alpine Berggegenden, die mich sehr gefordert haben. Zuhause hatte ich naiverweise sieben Tage angesetzt, doch ich brauchte neun, um bis nach Haukeliseter zu kommen. Es gibt hier sehr steile, gefährliche Schneefelder, Flüsse, die durchwatet oder auf brüchigen Schneebrücken überquert werden mussten, und glitschige, steile Felsplatten. Das Ganze bei Regen und Nebel, das war nicht ohne.

Da geht’s drüber.

Zwischendurch wandert man über schier endlose felsige Hochflächen, an riesigen Findlingen, Seen und Bächen entlang unter einem fantastischen, weiten Horizont. Viele Tage waren wirklich anstrengend, da es stets hinauf, hinab, durch Feuchtgebiete, über Steine und über Bäche geht. Erst ab dem dritten Tag habe ich einen Rhythmus gefunden und bin früh aufgebrochen, zügig gegangen, habe auf regelmäßiges Essen und ausreichend Pausen geachtet und war dann meist am Nachmittag recht früh an dem Ort, an dem ich übernachten wollte. Ich konnte so in Ruhe das Zelt aufstellen, etwas kochen und herumliegen und mich einfach nur erholen und — gucken. Um neun Uhr abends war ich dann meist so müde, dass ich eingeschlafen bin. Und so wachte ich fast jeden Tag gut erholt um 5:50 Uhr auf (echt!) und konnte mir eine schöne norwegische Hafergrütze und einen Kaffee zum Frühstück köcheln und früh losgehen. Man lernt, auf seinen Körper zu hören und ihn gut zu pflegen.

Abschnitt 2: In 5 Tagen durch die Hardangervidda

Nach dem ersten neuntägigen Abschnitt habe ich mir in dem bewirtschafteten Berghof Haukeliseter einen Ruhetag gegönnt und mich mit Restaurantküche, einem eigenen Zimmer, Dusche und einer Kajaktour verwöhnt. Der folgende fünftägige Abschnitt durch die berühmte Hardangervidda war dann dank des großartigen Wetters und meiner gewachsenen Kondition eigentlich ein einziger langer, schöner Spaziergang. Schon bald kann man am Horizont den Charakterberg Hårteigen erspähen, der wie ein großer Klotz seine Umgebung nochmal um knapp 300m überragt. Nach einer kleinen Kletterpartie hat man von dort oben einen unfassbaren Fernblick in alle Himmelsrichtungen.

Blick vom Hårteigen.

Auch hier gab es in diesem Jahr noch besonders viel Restschnee, doch normalerweise erleichtert es sogar das Wandern, wenn man auf den recht flachen Schneefeldern einfach der Luftlinie folgen kann. Ich hatte nur immer Respekt, wenn das Feld zu steil und lang wurde, im eisigen See endete oder brüchig aussah. Dann bin ich auch mal umständlich über Berggipfel geklettert, um Gefahrenstellen zu umgehen. Bei besonders großen Feldern oder bei Nebel war es manchmal nicht einfach, die Wegführung zu erkennen, dabei half mir eine digitale Karte auf dem Smartphone oder auf dem Garmin, da sieht man genau, in welche Richtung man weiter muss.

Abschnitt 3: In 3 Tagen bis nach Hallingskeid

Den nächsten Pausentag legte ich in Fossli im “Liseth Pensjonat” ein, auch eine Wanderherberge mit günstigen Zimmern und Restaurant. Hier konnte ich den imposanten Wasserfall Vøringsfossen ausführlich von oben und unten bewundern. Der folgende Abschnitt war der einsamste der Tour: Ich habe an den letzten zwei Tagen keinen Menschen gesehen, und selbst auf den Schneefeldern waren keine menschlichen Spuren zu entdecken — hier war seit 3 oder 4 Tagen mindestens niemand mehr gewesen und war auch niemand unterwegs.

Von Liseth kommt man über eine Hochfläche zum Simadal, das Ende des Simafjords. Man steigt kurz auf 800m hinab, um dann gleich auf 1.100m aufzusteigen auf den Gipfel des Bergs, der das Tal abschließt. Wenn man dort sein Zelt aufschlägt, hat man ein unglaubliches Panorama! Am nächsten Tag geht es mit Blick auf den Hardangergletscher weiter und dann nicht zur Rembedalseter-Hütte, auf der die Gletscher-Umrunder übernachten, sondern direkt ins Nichts auf den 7h-Abschnitt zur Hallingskeid-Hütte. Mein Zeltplatz an einem namenlosen See auf der Hälfte dieser Strecke war der einsamste Fleck der ganzen Tour. Da kann man nachmittags zum Abkühlen ohne Bedenken nackig in den See springen. ;-)

Der letzte Wandertag brachte mich nach Hallingskeid, einer Berghütte mit Haltepunkt der Bergenbahn, am bekannten Radwanderweg Rallarvegen gelegen. Hier hatte ich wieder Netz und konnte mich auf die Rückkehr in die Zivilisation vorbereiten.

Die Rückreise als Erlebnis- und Erholungsprogramm

Von Hallingskeid hätte ich direkt mit der Bahn nach Bergen fahren können und dort die Fähre besteigen. Doch ich hatte bereits die Rückfahrt mit dem Expressboot ab Sogndal nach Bergen gebucht (5 Stunden Schifffahrt durch die Fjorde!). Also fuhr ich nur eine Station mit dem Zug bis Myrdal und stieg dort in die berühmte Flåmbahn um, eine steile Fahrt hinab zum Aurlandsfjord und in diesem Jahr ganz ohne die üblichen asiatischen und amerikanischen Massentouristen. Unten brachte mich der öffentliche Bus durch den längsten Straßentunnel der Welt zu “Kjørnes Camping” kurz vor Sogndal, wo ich die Reise noch zwei Nächte mit allem (Zeltplatz-)Komfort ausklingen ließ. Dann kam die Bootsfahrt nach Bergen, dort direkt der Umstieg auf die Fähre über Stavanger nach Hirtshals (Dänemark).

Was ich auf dieser Wanderung gelernt habe

Vorher, zuhause, hatte ich mich trotz meiner Erfahrung aus zwei Fernwanderungen in den Alpen ordentlich verplant. Ich hatte mich verleiten lassen, die Tour zunächst mit 15km, dann sogar mit 20km am Tag zu planen — zuviel wollte ich am Ende noch reinpacken. Und dann kam schon am zweiten Tag die Ernüchterung: Das ist alles viel zu weit und zu anstrengend! Schlechtes Wetter, ein Sturz, einige Gefahrenstellen im abgelegenen Gebiet: Ich musste umplanen und brauchte neun statt sieben Tage für den ersten Abschnitt. Ich war froh, mich tageweise mit Haiko, einem Holländer, der die gleiche Strecke vorhatte, zusammentun zu können. Die Kilometerzahl sagt eigentlich gar nichts aus, stattdessen richtete ich mich nun nach der auf der Karte angegebenen Zahl der Wanderstunden. Die hielt ich anfangs mit Mühe ein, später war ich oft sogar schneller. Nach etwas Sorge, ob ich mir die Hardangervidda noch antun sollte, spielte sich dann alles ein und erwies sich im Vergleich fast schon als einfacher Spaziergang.

Die bewirtschaftete Litlos-Hütte auf der Hardangervidda.

Extrem wichtig war für mich die Flexibilität, umplanen zu können. Alles auf der Basis sehr guter Informationen: Streckenzustand, Verkehrsverbindungen, Karte, Wetterbericht, das musste ich laufend prüfen und die Tour anpassen. Essen war in den Hütten meist beliebig verfügbar — das ist schon eine tolle Einrichtung. Dazu die Sicherheit, eine gute und verlässliche Ausrüstung und auch für den Fall der Fälle ein Satelliten-Notrufsystem zu haben, damit mich Rettungskräfte rausholen können. Konzentration an schwierigen Stellen, Vorsicht, Geduld, Ausdauer — das alles hat mich die Tour gelehrt. Vielleicht mache ich nächstes Jahr doch etwas weniger Anspruchsvolles … Allerdings: Das Erlebnis dieser großartigen Landschaft und die Erfahrung meiner eigenen Fähigkeiten machen mich dankbar, dass ich diese Route, die ich mir ganz allein zusammengestellt hatte, gehen konnte.

Übrigens hat Norwegen heute angekündigt, dass deutsche Touristen ab dem 1. September nicht mehr ohne Quarantäne einreisen können — was habe ich für ein Glück gehabt, in diesem Jahr #lyse2sognefjord machen zu können!

PS: Für Interessierte, die gerne eine ähnliche Tour gehen wollen, gibt es hier etwas Fernwanderungsausrüstungsgeflüster: Was hatte ich dabei? Womit war ich zufrieden, was würde ich nicht mehr mitnehmen?

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