Gedankenwandern, Tag 11: Nacht.

Blick in den Nachthimmel über der Hardangervidda

@Aus_der_UBahn
3 min readApr 6, 2020
Nacht über der Hardangervidda. Da meine Handykamera das Licht der Sterne nicht angemessen einfangen kann, habe ich lieber ganz darauf verzichtet.

Etwa 15km Strecke in 5h Wanderzeit, heute war ich beim Wandern matt. Über die Hütten von Hadlaskard und Hedlo nähere ich mich dem Nordrand der Hardangervidda.

In dieser Nacht habe ich mich selbst geweckt. Ja, das geht. Ich schlafe meistens unruhig auf der harten Isomatte und drehe mich oft herum und bemühe ich mich dabei, gleich weiterzuschlafen. Einmal heute tauchte aber ein klarer Gedanke in mir auf: Halt! Nicht einfach weiterschlafen! Es ist völlig dunkel draußen und absolut still. Ich will mir das wenigstens einmal auf dieser Wanderung ansehen. Geh raus, schau dich um!

Ein wenig erschreckend ist es, mitten in der großen, dunklen Einsamkeit aus dem kleinen Zelt zu klettern und dann weitab von allem anderen ganz für sich allein zu sein. Es ist kalt, die Luft schneidet, die Schwärze schüchtert dich ein. Bin ich wirklich der Einzige hier? Keiner, der herumschleicht, kein wildes Tier auf der Jagd? Aber nein. Mich beruhigt immer der Gedanke, dass ich, falls hier noch jemand sein sollte, ebensowenig zu sehen bin wie er. Ich bin ja ganz Ohr und Auge. Und gefährliche Tiere gibt es nicht, die verstecken sich eher vor mir. Eigentlich fühle ich mich sehr sicher in der Nacht.

Und dann geht mein Blick nach oben und mir stockt der Atem unter diesem gewaltigen Sternenhimmel. Es ist ein wenig wie früher der THX-Sound-Spot zur Klangdemonstration im Kino, nur für die Augen. Die Milchstraße zieht sich als heller Sternenhaufen quer über den ganzen Himmel. Doch auch abseits davon leuchtet eine unfassbare Zahl von Lichtpunkten. Ich gehe nochmal zurück zum Zelt und hole Schlafsack und Isomatte und lege mich flach auf den Boden, damit ich hinaufschauen kann, ohne Genickstarre zu bekommen. Wie winzig ich auf einmal bin! Alle meine Sorgen und Gedanken sind ja so verschwindend klein, so nichtswürdig angesichts dieses kalten, fernen, unberührten Universums über mir. Es war schon da, als ich geboren wurde, und seitdem hat sich da oben nichts getan. Wie viele Wochen, Monate lebt man so vor sich hin, ohne einmal in den Nachthimmel zu schauen! In mir taucht die Erinnerung an warme Sommernächte auf, als ich als Jugendlicher draußen auf der Straße saß mit Freunden, oder mit einer Freundin. Ich bin immer noch da und der Himmel auch. Für den hat sich aber nichts geändert, da oben ist alles wie eingefroren.

Die Sterne flimmern in verschiedenen Farben. Es ist so klar, dass ich tatsächlich Kugeln zu erkennen meine, die alleine in großem Schweigen durch die Leere rasen, umkreist von Planeten, auf denen niemand ist (ja, ich weiß, die sieht man nicht). Mit der Zeit nimmt das Auge auch Bewegung wahr, Satelliten ziehen vorüber, auch sie völlig lautlos. Mir fällt ein, dass die Erde im August doch durch einen Meteoritenschwarm zieht, ist das jetzt?, ich warte auf Sternschnuppen, und ja, bei der ersten bin ich mir nicht sicher, aber dann sehe ich eine lange, helle Spur, und wieder ist die Stille so überraschend, noch eine, und dann habe ich mich satt gesehen, die Augen wollen zufallen.

Am Morgen geht es weiter noch Norden, nach einigen Kilometern passiere ich die Hadlaskard-Hütte, ich erreiche das Tal, in dem der Fluss Veig nach Norden aus der Hardangervidda herausfließt, hier noch auf rund 1.000m Höhe, aber nun wird es tiefer, breiter, feuchter und stärker bewachsen. Nach zwei weiteren Stunden die bewirtschaftete Hütte von Hedlo, ich gönne mir ein spätes Mittagessen vom Selbstbedienungsbuffett und dazu eine Cola (!) und kann eine Stunde lang Akkus laden. Ich folge dann nicht dem Tal weiter hinab, sondern halte mich rechts, auf einen weiteren Höhenrücken hinauf, um hinüberzukommen nach Fossli, zum berühmten Vøringsfossen, wo sich ein weiterer Fluss in einem Wasserfall in Richtung Eidfjord hinabstürzt. Als ich noch auf der Höhe bin, aber schon hinübersehen kann ins Tal, wo viele Hütten und sogar richtige Häuser stehen, schlage ich das Zelt auf.

Ich bin nicht besonders kaputt, aber so langsam spüre ich eine tiefere Erschöpfung, die sich nur wie eine leichte Unlust bemerkbar macht, ein gewisser Überdruss am Wandern. Aber ich weiß: Wenn ich einen Pausentag einlege, werde ich spätestens mittags wieder unruhig umherstreifen, weil ich gar nicht mehr weiß, was ich so lange an einem Ort tun soll. Mal sehen, wie sich das in den nächsten Tagen noch ausprägt.

Schön ausgedacht das alles, leider nur.

Hier geht’s weiter:
Gedankenwandern, Tag 12: Wasserfall.

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Hamburg. ÖPNV. Wandern. Ex-Twitter, jetzt @Aus_der_UBahn@Norden.Social

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