Gedankenwandern, Tag 13: Wolken.

Nichts ist von Dauer: Wandern unter ziehenden Wolken

@Aus_der_UBahn
3 min readApr 8, 2020
Sind zwar in Dänemark, sehen aber auch toll aus: Wolken.

20km, 7h Wanderzeit: Oberhalb des Simadals zum Rembesdalsvatnet und noch einmal weiter auf dem Fjell in Richtung Hallingskeid-Hütte — bei wechselhaftem Wetter.

In der Nacht war der Wind aufgefrischt und es hatte geregnet. Wie immer war ich dabei etwas unruhig und habe im Halbschlaf den Daunen-Schlafsack von der Zeltwand weggerafft, damit er nicht feucht wird. Morgens treiben dicke Wolken über das Zelt, doch dazwischen lugt auch blauer Himmel hervor. Felder aus Licht ziehen rasch übers Fjell. Es ist kühl, der Wind weht, aber ich finde es nicht unangenehm — die Luft ist geradezu schneidend klar, und wenn man sich bewegt, ist es auch nicht zu kalt. Das Zelt ist noch feucht beim Einpacken, bei einer Pause später werde ich es noch einmal zum Trocknen auspacken und in den Wind legen.

Mein Weg führt direkt aufs kurze Simatal zu und dann mit atemberaubenden Ausblicken oben an seiner steilen Abbruchkante entlang. Auf etwa 1.100m Höhe liegt rechts von mir ein kleiner See, links fällt der Hang abrupt bis fast auf Meereshöhe ab, ein Wasserfall darin, und am Ende des Tals schimmert der Fjord. Ich quere hinüber zur Staumauer des Rembesdalsvatnet, an dessen östlichem Ende die Ausläufer des Hardangerjøkulen fast bis in den See greifen. Das Simatal ist das Zentrum eines großen Wasserwirtschaftssystems, unten am Fjord ist das zweitgrößte Kraftwerk Norwegens 700m in den Fels hineingebaut. Viele der Seen hier sind durch kilometerlange Druckstollen miteinander verbunden; sie sammeln das Wasser des Hardangergletschers ein und helfen, es in Strom zu verwandeln. Außer den Staumauern und einzelnen kleinen Zugangsgebäuden aus Beton ist davon aber nichts zu sehen.

Das Simadal auf der großartigen Onlinekarte von ut.no

Auf dem Seespiegel jagen die dunklen Flecken dahin. Die grauen Wolken ziehen knapp über den runden Gletschergipfel davon. Als ich hinter dem Rembesdalsvatnet aufs nächste Fjell hinaufsteige, sehe ich immer mehr vom mächtigen, blauen Gletschereis im Osten. Aus Westen bläst der Wind die Wolken wie dicke Wattebäusche über mich hinweg. Beim Gehen kann ich den Blick kaum abwenden und stolpere mehrmals; besser, ich bleibe stehen und genieße das Panorama. Ich bewundere jede einzelne Wolke und staune darüber, dass jede eine einzigartige Gestalt hat — die sich aber schon nach wenigen Sekunden verwandelt und nach einer Minute nicht mehr wiederzuerkennen ist. Wie lange bleibt eine Wolke sie selbst und wann ist sie plötzlich eine andere? Fast spüre ich so etwas wie Trauer, dass so viele Wolken an mir vorbeiziehen, ohne dass ich sie richtig würdigen kann, wo sie doch so fragil, so kurzlebig, so zart sind. Ein feuchter Haufen Luft, und doch so klar gezeichnet wie ein Ballen Zuckerwatte. Als könnte man, wie damals im Petzi-Buch, mit einem aufgespannten Regenschirm auf ihnen landen, feststellen, dass sie aus Kuchenteig sind und sich hindurchfressen. Ich frage mich, wie sich ein göttlicher Schöpfer so etwas Absurdes wie einen Planeten ausdenken konnte, um den ständig plastische, gegenständliche, aber stets sich wandelnde und unberührbare Luftberge herumziehen. Eigentlich ein Beweis, dass es Gott nicht geben kann.

Dies ist vermutlich mein letzter Wandertag in einer großen, unstrukturierten Wildnis, die bis zum Horizont keine Abwechslung bietet außer dem Schauspiel am Himmel. Und natürlich der konkreten Ausgestaltung des Durcheinanders von Felsen, Hügeln, Senken, Seen und Bächen. Irgendwo auf halber Strecke suche ich mir wieder einen idyllischen Zeltplatz, diesmal am Fuß eines Hügels, der mir etwas Windschutz gibt. Es war ein anstrengender Tag, und ich gleite in den Schlaf hinüber wie die Wolken zum Horizont. Alles nur in Gedanken.

Hier geht’s weiter:
Gedankenwandern, Tag 14: Rallarvegen.

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Hamburg. ÖPNV. Wandern. Ex-Twitter, jetzt @Aus_der_UBahn@Norden.Social

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