Gedankenwandern, Tag 15: Fjord.

Quer über ein kleines Gebirge, und dann hinunter nach Aurland.

@Aus_der_UBahn
4 min readApr 10, 2020
Vom Fjord aus gesehen: Von rechts kam ich immer auf der Höhe über die Berge nach Aurlandsvangen. (Google Street View)

20km, 7h Wanderzeit. Zunächst quer und oft weglos über ein kleines Gebirge von Kuppe zu Kuppe, bis sich das Fjordpanorama öffnet und ich den Hang hinab zum Uferstädtchen Aurland gehe — dem vermeintlichen Ziel.

Schlaf und Müdigkeit wasche ich mir im See aus den Augen. Es ist noch kalt, doch der Morgen ist herrlich. Ich frühstücke im Schlafsack und bemühe mich, bald aufzubrechen. Es sind noch 200 Höhenmeter und 1,5km bis zum Gipfel des Ljosbergs, hoch oben am Abgrund über dem Viddalsvatnet gelegen. Kurz genieße ich die Aussicht zurück nach Osten und Süden, dann klettere ich weglos über die Felsen weiter nach Norden, immer dem tief eingeschnittenen Aurlandsfjord entgegen.

Das Gehen ist wieder mühselig, mit großen Ausfallschritten über Felsspalten und kleinen Kletterpassagen. Ich bemühe mich, der Geländestruktur zu folgen und möglichst höhengleich zu gehen. Dabei umgehe ich ein Tal, das tief nach Westen ins Flåmtal abfällt, und schlängele mich zwischen kleineren Gipfeln hindurch bis zum Blåskavlavarden, der mit 1.443m höchsten Kuppe vor mir, bevor das Gelände dann zum Fjord hin abfällt und den Fernblick freigibt. Jeder kennt Bilder von Fjorden, doch wenn einer tatsächlich unter dir liegt, ist er schwer zu erfassen: Mitten in den Bergen, in einer riesenhaften, steilen Schlucht, glänzt Meerwasser. Die Kreuzfahrtschiffe — heute ist keins zu sehen — müssen vom Meer erst 150km den Sognefjord entlangfahren, bis sie überhaupt in den Aurlandsfjord abbiegen können, von dem wiederum der Naerøyfjord abzweigt. Die gewaltigen Dimensionen werden von einem feinen Dunst, der die Berghänge im Norden ihrer Farbe beraubt, noch betont. Wieder verschmilzt die fast aufdringliche Stille mit dem Panorama zu einem Gesamtbild, das sich mir tief ins Herz eingräbt.

Meine Route habe ich bei Outdooractive geplant.

Nach einer Fernglas- und Picknick-Pause auf dem Gipfel finde ich einen Weg, so langsam komme ich ins Einzugsgebiet von Aurlandsvangen, wie die Langfassung des Ortsnamens lautet. Es geht bergab, der Blick ist immer noch atemberaubend. Hier und da stehen jetzt kleine Hütten, es gibt weitere Wege und mit Hovdungo auch ein kleines Dorf mit Aussichtspunkt auf etwa 800m. Fast greifbar nah liegt unter mir das Städtchen auf einer Felsnase am Fjord, mit einem winzigen Hafen. Doch der Weg schlängelt sich erst wieder nach Westen, um den steilen Abhang zu umgehen, und führt mit Fjordblick hinab ans Ufer und die letzten Kilometer auf einer asphaltierten Straße in den Ort. Ich setze mich erst einmal ins Café und esse alles, was auf der Karte lecker aussieht. Dies könnte das Ende meiner Gedankenwanderung sein.

Trotz eines oder zweier Ruhetage, die ich vielleicht genommen habe, ohne sie hier zu schildern, hätte ich noch zwei bis drei Tage Zeit. Das trifft sich gut, denn insgeheim habe ich schon zuhause eine kleine Verlängerung geplant. Eigentlich wollte ich von Aurland mit einem Bus abends durch den langen Tunnel ins nächste Tal, nach Laerdal, von wo auf der E16 ein Nachtbus nach Oslo fährt. Genauso könnte ich aber von beiden Orten auch nach Bergen fahren und von dort mit der Fähre nach Dänemark.

Den Weg nach Laerdal könnte ich aber auch noch zu Fuß unternehmen. Nordwärts ins wirklich völlig unerschlossene Naturschutzgebiet von Bleia-Storebotnen. Ich käme in einem Tag bis auf die Hochebene und am nächsten Tag vormittags bis auf den Gipfel der Bleia, die mit 1.717m an einer steilen Abbruchkante zum Fjord eine Art Symbolberg für das Sognefjordpanorama darstellt. Vom Wasser aus ist dies ein wuchtiger, unzugänglicher Berg, und im Netz habe ich wirklich nur wenige Berichte einer Besteigung gefunden. Zu abgelegen scheint er zu sein, doch nach zwei Wochen Training fühle ich mich auch für schwieriges Gelände gewappnet. Ich bin zwar insgesamt recht müde, aber wenn ich schon hier bin und die Gelegenheit habe, möchte ich diese besonderen zwei Tage noch erleben. Ich beschließe, meine Kräfte nochmal zu aktivieren. Das fällt mir leicht, wo auf dieser imaginären Wanderung doch alles so gut geklappt hat!

Nach dem Kaffee frische ich also noch ein letztes Mal meine Vorräte im örtlichen Supermarkt auf (juhu, was es da alles Leckeres gibt!) und ziehe dann schwer bepackt noch einen guten Kilometer den Fluß im Tal hinauf zum Campingplatz von Aurland. Heute Abend werde ich heiß duschen und vorm Zelt ein unglaublich teures Bier trinken! Campingplätze haben schon ihre Vorteile. Irre, das alles. Zumindest ziemlich irre ausgedacht.

Der nächste Tag:
Gedankenwandern, Tag 16: Weiter!

--

--

@Aus_der_UBahn
@Aus_der_UBahn

Written by @Aus_der_UBahn

Hamburg. ÖPNV. Wandern. Ex-Twitter, jetzt @Aus_der_UBahn@Norden.Social

No responses yet