Gedankenwandern, Tag 4: Wasser.
Vom Hovatn weiter zwischen den Stauseen von Ryfylke hindurch
18 km Strecke, 6h Wanderzeit. Den ganzen Tag auf dem einen Pfad nach Norden, immer auf der Höhe am Blåsjø entlang. Mittags passiere ich die Vassdalstjørn-Hütte, abends zelte ich nahe der Krossvatn-Hütte. In Gedanken.
Morgens sehe ich mir die Hovatn-Hütte an, in der über Nacht niemand gewesen ist. Ein hübsches, rot gestrichenes Holzhaus, ganz so, wie norwegische Häuser aussehen müssen. Innen hölzerne Tische und Stühle, ein Holzofen, eine Küche, das Lager im Extrazimmer. Von einer kleinen Veranda blickt man hinab auf den See. In der Sektion Stavanger des norwegischen Wandervereins sind alle Hütten offen, hier hätte ich den Schlüssel gar nicht gebraucht. Es gibt einen Vorrat an Lebensmitteln zur Selbstbedienung, gezahlt wird per App. Knäckebrot und Fischpaste sind nicht ganz mein Geschmack, aber auch sie machen satt.
Der Hovatn, von dem ich jetzt losgehe, ist ein natürlicher Bergsee. Der Blåsjø, den ich auch heute den ganzen Tag im Blick haben werde, nicht. Er ist im Grunde eine riesige Batterie für den skandinavischen Ökostrom, der nach Deutschland geliefert wird. Die Landschaft hier ist menschenleer, aber komplett vom Menschen umgestaltet. Und eigentlich bemerkt man es nicht einmal. Mehrere Dämme stauen diesen künstlichen See mit einem Energiepotential von 7,8 TWh pro Jahr. Die Fallrohre und das Kraftwerk sind am anderen Ende des Sees, und dort unterirdisch in den Berg gebaut, so dass man nichts davon sieht. Der Wanderweg hier führt über die ehemaligen Berggipfel, während die Täler im Wasser verschwunden sind. Nur der kahle Uferstreifen, der die wechselnden Füllstände des Sees verrät, zeigt den Charakter des Sees. Wenn in Deutschland der Wind weht, treibt überschüssiger deutscher Strom auch hier im Norden die Haushalte und die Fabriken an, der See kann natürlich volllaufen. Stehen die Windräder im Süden still, dann gehen die Schleusen hier am Blåsjø auf und das ablaufende Wasser wird zu Energie, die auch nach Deutschland geschickt wird. So zumindest soll es einmal funktionieren.
Aber es gibt so viele Seen auf dieser Wanderung. Und Pfützen, Bäche, Sümpfe, Flüsse, Fjorde. Und Wasser von oben wird es auch noch geben. Ich trinke das Wasser, ich springe hinüber, wenn es kleine Bäche sind, ich überquere es auf Hängebrücken, die für den Sommer aufgebaut werden. Und ich werde es an feuchten Tagen auch noch in den Wanderschuhen haben. Noch hält sich das gemäßigt warme Wetter mit seinen dicken Wattewolken.
Die Seen in der Landschaft sind wie mit Himmel gefüllte Löcher im Fels. Blendende Wolken, auf die man von oben herabschauen kann. Mit dem letzten Rest meines Handyakkus versuche ich, das Licht im Fels, die spiegelnden Wolken im Foto einzufangen. Am Abend werfe ich mich hinein, der Spiegel zerspringt. Es ist sehr kalt, zum Glück habe ich mir das nur ausgedacht. Obwohl …
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Gedankenwandern, Tag 5: Horizont.